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 Wünsche

In China trafen sich einmal drei alte Männer, ehemalige Mitschüler. Aus dem einen von ihnen war ein Statthalter des Kaiser geworden, aus dem anderen ein Gelehrter, aus dem dritten ein Gärtner.

Als sie nun so beisammen saßen und sich über ihr Leben unterhielten, kamen sie auch auf die Wünsche zu sprechen, die sie noch an das Leben hatten, und sie stellten fest, daß sie immer nur Wünsche für den folgenden Tag hatten, da sie ja schon alt waren und jeder Tag ihnen wie ein Geschenk vorkam. "Ich wünsche mir für den morgigen Tag", sagte der Statthalter, "eine Porzellanschale voll köstlichen Tees und ein stolzes Pferd zum Ausreiten. Mehr Wünsche habe ich nicht."

"Ich", sagte der Gelehrte, "wünsche mir für den morgigen Tag eine Schale süßer Trinkschokolade und gute Augen und ein schönes Buch zu lesen".

"Und ich", sagte der Gärtner, "ich wünsche mir für den morgigen Tag, daß die Sonne aufgeht, wie sie es immer getan hat, daß der Quell nicht versiegt, von dem ich morgens trinke, und daß die Vögel in den Bäumen singen, von deren Früchten ich mich nähre".

In der Nacht, die diesem Gespräch folgte, gab es ein großes Erdbeben in China. Als der Statthalter tags darauf seinen Tee trinken wollte, konnte er's nicht; denn die porzellanene Schale dafür war zerbrochen; und als er mit dem Pferd ausreiten wollte, konnte er's gleichfall nicht; denn einstürzende Mauern hatten sein Pferd erschlagen.

Dem Gelehrten erging es ähnlich wie dem Statthalter. Als er seine Schokolade trinken wollte, fehlte dafür die Schale; und als er in einem schönen Buch wollte, konnte er's nicht; denn seine Bibliothek war eingestürzt, und alle seine Bücher waren verbrannt.

Dem Gärtner aber ging es anders als dem Statthalter und dem Gelehrten. Als er erwachte, ging die Sonne auf, wie er sich gewünscht hatte. Als er zum Quell ging, um daraus zu trinken, sprudelte der immer noch. Und als er in den Garten ging, der von dem Erdbeben verwüstet war, standen dort immer noch einige Bäume, die Früchte trugen, und in den Bäumen sangen Vögel.

Seidem sagt ein Sprichwort in China:
Wer sich für den folgenden Tag am wenigsten wünscht, der ist am glücklichsten dran.

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