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 Wo ist die Grenze der Wissenschaft?

Wissenschaftler sind jene Menschen, die von kleinen Kindern mit großen Augen bestaunt werden. Über sie kommen zahlreiche Berichte im Fernsehen und sie dienen uns als Vorbild. Schon immer wollte der Mensch die Welt verstehen. Es ist seine Natur neugierig zu sein und Fragen zu stellen. Wie viele Philosophen haben sich nicht schon Gedanken gemacht, wie man zu Erkenntnis gelangt, wie man die allgemeine Wahrheit findet, und was diese „Wahrheit“ überhaupt ist. Dabei stehen Forscher natürlich ganz oben auf der Liste der Pioniere der Wahrheitssuche. Ihnen wird nachgesagt, dass sie am Verständnis der Welt am nächsten dran seien. Aber sie begeben sich dadurch oft auf eine gefährliche Gratwanderung zwischen dem Drang nach Wissen und der Befriedigung ihrer Neugier auf der einen Seite, während auf der anderen ein steiler Abhang ethischer und moralischer Probleme auf sie wartet. Kann bzw. sollte man Forschern also Grenzen in ihrem Handeln setzen, damit sie nicht in den Abgrund der ethisch-moralischen Kontroversen fallen, die sie selbst erschaffen haben? Und vor allem, wo fangen diese Grenzen an, und wo enden sie?

Forscher sind Bastler. Sie basteln mit Ideen und Wissen. Oft ist es ein fröhlich-bunter Cocktail, den sie da mixen, wenn sie neue Erkenntnisse mit bekanntem Wissen einmal kräftig durchmischen und dabei eine neue Theorie, ein neuer Wissensstand, eine erweiterte Wahrheit herauskommt. Wozu die Gedankenspiele der Wissenschaftler aber führen können, zeigen in den westlichen Industrieländern zahlreiche Debatten zur Genforschung. Jeder ist erfreut, wenn Gegenmittel für unheilbar geglaubte Krankheiten gefunden werden oder Erbkrankheiten in den Griff bekommen werden. Es wird keinen Menschen geben, der den Parkinson- und Alzheimerkranken eine Erlösung von ihren Leiden nicht gönnen würde. Doch schon ein einziger Fall in England, indem eine junge Familie ein geklontes Kind aus den Zellen ihres tödlich verunglückten Sohnes bekommen möchte, sorgt für Wirbel. Noch meinen wir, die ethischen und moralischen Fragen unter Kontrolle zu haben, Eingriffe nur im äußersten und lebensbedrohlichsten Ausnahmefall durchzuführen, um den Betroffenen ein – natürlich relativ gesehen – normales Leben zu ermöglichen. Aber mit welcher Begründung lehnen wir eine Behandlung eines Menschen ab, der rote Augen, eine krumme Nase oder eine zu geringe Körpergröße hat und nach eigenen Angaben kein normales Leben führt, ja vielleicht sogar mit starken psychischen Belastungen leben muss? Irrelevanz des Problems? Oder anders gefragt, wer schützt uns selbst davor, die letzten Grenzen unseren Handelns nicht zu erkennen oder falsch einzuschätzen und unsere Beweggründe immer mit „Erkenntnisgewinn“ und letztenendes Neugier zu legitimieren? Ab wann gibt es das Kind aus dem Katalog? Ich möchte bitte das Kleine von Seite 42, Größe S und in schokoladenbraun. Danke.
Setzen sich Wissenschaftler, die sowieso meist in anderen kosmischen (Gedanken-)Welten verkehren, wirklich schon im Vorfeld mit moralischen Fragen und möglicherweise auftretenden Folgen auseinander? Viele Wissenschaftler forschen um des Forschens willen, nicht um große Dinge zu bewirken. Die Kehrseite von der Medaille stellen allerdings Wissenschaftler dar, die ihre gesamte Tätigkeit auf dem Streben nach Anerkennung aufbauen, einen Platz im Geschichtsbuch natürlich garantiert. Dabei verlieren sie nicht allzu oft die Realität aus den Augen und würden, im leider wahrsten Sinne des Wortes, über Leichen gehen.

In anderen Teilen der Welt erfolgt der Ablauf in umgekehrter Reihenfolge. Dort wird die Wissenschaft als Vorwand zum mutwilligen Töten genommen – wenn auch nicht von Menschen sondern von im Auge der höchsten Geschöpfe Gottes „niederen Lebewesen“. Dennoch atmen sie die gleiche Luft wie wir, besiedeln den gleichen Flecken Erde und haben mitunter ausgeprägtere Sozialstrukturen als die Krone der Schöpfung. Ist ihr Leben weniger wert, weil sie nicht mit Handys telefonieren oder gar durch Kriege ganze Populationen der eigenen Artgenossen auslöschen? Von einem neutralen Standpunkt aus betrachtet ist das Leben der Tiere ebenso wichtig wie das der Menschen, da jedes Individuum, gleich welcher Spezies, einen festen Platz im Ökosystem „Blauer Planet“ einnimmt. Bleibt der Platz leer, droht das System über kurz oder lang in sich zusammenzubrechen. Aus diesem Grund gelten auch für nichtmenschliche Organismen ethische Fragen gleichermaßen wie für Menschen.
Schon seit Jahren betreibt Japan unter dem heiligen Schutzbanner der Forschung kommerziellen Walfang – und die ganze Welt schaut beinahe teilnahmslos zu. Nur ein paar Umweltschützer stellen sich quer, werden aber von oben abfällig belächelt. Was können sie mit ihren kleinen Schlauchbooten und Spraydosen auch schon den großen Stahlriesen der „Wahrheitsflotte“ anhaben.
Seit Jahren erhöht das Land der aufgehenden Sonne trotz des internationalen Walfangverbots von 1986, an dass sich mal abgesehen von Japan selbst, Norwegen und ein paar kleinen Inseln die gesamte Welt hält, kontinuierlich seine Fangquoten, um nach eigenen, versichernden Angaben etwas zu dem Schutz der bedrohten Meeressäuger beizutragen. Die Fachwelt ist sich einig, dass man eine Art am besten schützen kann, wenn man am meisten über sie weiß – und dieses Wissen erlangt man am besten, indem man die Tiere qualvoll fängt, um sie später zu sezieren und genauestens zu untersuchen – alles im Dienste der Wissenschaft, versteht sich. Mit dieser von vielen Forschern ungewollten Rückendeckung weitet Japan neuerdings seinen rein wissenschaftlichen Walfang sogar auf vom Aussterben bedrohte Arten aus. Dass bei der ganzen Aktion zufällig noch eine bei den Einheimischen begehrte Delikatesse als Nebenprodukt abfällt, sei reiner Zufall.

Doch das Töten von Tiere für die Wissenschaft ist nicht nur im großen Maßstab zu beobachten, sondern fängt schon im ganz Kleinen an – bei denen, die einmal in die Fußstapfen der Großen treten und die Wissenschaftlerlaufbahn einschlagen möchten. Zu jedem Biologiestudium gehören verschiedene Praktika, in denen Mäuse, Ratten, Frösche und andere kleinere Lebewesen seziert werden, um die Anatomie der Lebewesen besser zu verstehen. Wieso bekommen wir die Anatomie anderer Tiere an echten Beispielen gezeigt, während die Funktionsweise der eigenen Art nur anhand von abstrakten Bildern und Plastemodellen erläutert wird? In jeder Schule gibt es eine Anatomie-Puppe, die dem Lehrer als Anschauungsmaterial dient, aber es gibt kein Bastelset der Innereien einer weißen Maus oder des gemeinen Laubfrosches – weil es niedere Lebewesen sind? Aber von eben diesen von uns degradierten Lebewesen sterben täglich an deutschen Hochschulen Tausende von Individuen einen sinnlosen, vermeidbaren Tod, damit sich die heranwachsenden Wissenschaftler später einmal für deren Schutz einsetzen können.


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